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Alois Blumauer


Alois Blumauer (alias: A. Obermayer), geb. 22.12.1755 in Oberösterreich; gestorben am 16. 3. 1798 in Wien; Schriftsteller, Journalist, Herausgeber ("Wiener Musenalmanach"). Wichtigster Aufklärer der josephinischen Aufklärung. Aufenthalten in Weimar und Berlin. Verfolgungen. Satirische und antiklerikale Gedichte. Seine Darstellung der Aufklärung in Österreich ist grundlegend. Wichtig in unserem Zusammenhang: die vielfältigen Verknüpfungen über Baiern nach Deutschland (Weishaupt, Knigge, Pezzl, etc).
Links:
http://www.payer.de/religionskritik/blumauer01.htm http://de.wikipedia.org/wiki/Aloys_Blumauer


 
Lied der Freiheit
 
Wer unter eines Mädchens Hand
Sich als ein Sclave schmiegt
Und, von der Liebe festgebannt,
In schnöden Fesseln liegt:
Weh dem! Der ist ein armer Wicht,
Er kennt die gold'ne Freiheit nicht.
 
Wer sich um Fürstengunst und Rang
Mit saurem Schweiss bemüht,
Und, eingespannt sein Leben lang,
Am Pflug des Staates zieht:
Weh dem! Der ist ein armer Wicht,
Er kennt die gold'ne Freiheit nicht.
 
Wer um ein schimmerndes Metall
Dem bösen Mammon dient,
Und seiner vollen Säcke Zahl
Nur zu vermehren sinnt:
Weh dem! Der ist ein armer Wicht,
Er kennt die gold'ne Freiheit nicht.
 
Doch wer dies alles leicht entbehrt,
Wonach der Thornur strebt,
Und froh bei seinem eignen Herd
Nur sich, nicht Andern lebt,
Der ist's allein, der sagen kann:
Wohl mir, ich bin ein freier Mann!
 
Vertont von Wolfgang Amadeus Mozart.

 


 

Beobachtungen über Österreichs
Aufklärung und Literatur
.
  1782

 


In einem Staate, in dem von jeher Liebe zur Lektüre herrschte, in dem man von jeher die Schriften aller aufgeklärten Nationen las, um desto gieriger las, je mehr Schwierigkeiten die Neugierde der Leser reizten, in dessen aufgeklärterem Teile von jeher Grundsätze und Meinungen keimten, die jeder denkende Kopf wohl im stillen hegen, aber nicht öffentlich ausbrechen lassen konnte, wo Wißbegierde dem starken Damm seit langer Zeit entgegenarbeitete und dem Durchbrechen bereits nahe war, in so einem Staate mußte auf die Wegräumung der Hindernisse und die Erweiterung der Preßfreiheit notwendig eine Überschwemmung von Broschüren folgen.
 
Auf welchen hohen Grad schon vor dieser Epoche die Schreibbegierde der Schriftsteller des Landes gestiegen war, bewiesen die zahllosen Leichengedichte, Reden, Träume usw. auf den Tod der seligen Kaiserin und der nicht zu bändigende Eifer, mit welchem viele derselben der Verstorbenen noch ins zweite Jahr hinein nachleierten. Der Wert dieser Gedichte, so verschieden er war und so zweideutig er allemal bei bloßen Gelegenheitsgedichten sein muß, eröffnete dennoch der inländischen Dichtkunst eine nicht zu verachtende Aussicht. Die Schreiblust war nun einmal rege, und sie schien nur eine kurze Zeit wie in einer kurzen Sturm prophezeienden Windstille zu lavieren, als ihr der Ruf der erweiterten Preßfreiheit auf einmal in die Segel blies. Die kleine Schrift "Über die Begräbnisse", die am ersten von dieser größeren Freiheit Gebrauch machte, war der Vorläufer und gleichsam das Zeichen zum Angriff, das hundert Federn in Bewegung setzte. Man schrieb itzt von allem und über alles, man nahm den nächsten besten Gegenstand her, goß eine bald längere, bald kürzere, bald gesalzene, bald ungesalzene Brühe darüber und tischte ihn dem damals noch sehr heißhungrigen Publikum zur Mahlzeit auf. Nichts war von nun an vor der rüstigen Feder der Autoren sicher: für 10 Kreuzer konnte man jeden Gegenstand, er mochte groß oder klein sein, durchgebeutelt lesen, und ein vollständiges Verzeichnis all der "Von" und "Über", die damals erschienen, würde ein Gemälde von der possierlichsten Komposition geben. Ich will zur Probe nur einige dieser Broschüren hersetzen:
 
"Über die Stubenmädchen in Wien"
"Über die Kammerjungfern"
"Über die Bürgermädchen"
"Über die Halbfräulein"
"Über die Fräulein in Wien"
"Das Lamentabel der gnädigen Frauen"
"Über die Schwachheiten der gnädigen Frauen des leonischen Adels"
"Über den hohen Adel in Wien"
"Über Doktoren, Chirurgen und Apotheker"
"Den Hausherren im Vertrauen etwas ins Ohr"
"Über die Kaufleute in Wien"
"Über die Dikasterianten"
"Über die Stutzer in Wien"
"Über die Kaufmannsdiener"
"Über die Schneider"
"Über die Bäcker"
"Über die Peruckenmacher"
"Über die Friseurs"
"Der ehrliche Wastel mit dem Klingelbeutel"
"An H. S., Chef der Maulaffenloge auf dem Graben"
"Über den Kleiderpracht im Prater"
"Über die Unterhaltung bei der Tafel zu Schönbrunn"
"Über den Schwimmer aus Tirol beim Tabor"
"Beurteilung der Feuerwerke des Stuwer und Meilina"
"Über die Hetze"
"Kasperl, das Insekt unsers Zeitalters"
"Über das Nationaltheater"
"Über den Mißbrauch des Wörtchen >Von und Euer Gnaden<"
"Über das Gratulieren"
"Über die Kleidertracht"
"Etwas für die schopfichten Wienerinnen"
"Philosophie der Modeschnallen"
"Über die Hochzeiten in Wien"
"Das Gespenst auf dem Hofe"
"Über den großen Brand der Magdalenakirche"
"Über den Selbstmord bei Gelegenheit des Friseurs, der sich erschoß"
"Ist der Antichrist blau oder grün?"
"Über die Bruderschaften"
"Über die Kirchenmusik"
"Über die Nonnen"
"Über die Tracht der Ordensgeistlichen"
"Über die Reliquien, Opfer und Mirakelbilder"
"Von Abschaffung der Weihnachtsmetten"
"Über die Universität in Wien"
"Die Gelehrten im Nasenlande"
"Der Glückshafen für gelehrte Maulaffen"
"Über die Zehn-Kreuzer-Autoren"
"Kauft's allerhand! Kauft's allerhand! Kauft's lang und kurze War!"
 
Alle diese Broschüren, davon die meisten in die Rubrik "Makulatur" gehören, und noch beiläufig dreimal soviel, erschienen voriges Jahr in einer Zeit von wenigen Monaten, wurden gekauft und gelesen. - Sie sind den Titeln nach ein ziemlich vollständiges Repertorium über Wien; aber wehe dem, der daraus Wien beurteilen wollte. Die meisten erschienen bloß des Geldes wegen, waren in einem Tage fertig, am zweiten gelesen und am dritten vergessen. Man glaube indessen ja nicht, daß man es bei einer Broschüre über einen Gegenstand bewenden ließ. Es war beinahe keiner, über den man nicht wortwechselte. Die Schrift "Über die Begräbnisse", die allerdings viel bessere Nachfolger verdient hätte, zog 21 Streitschriften nach sich, bei welcher Gelegenheit der Ehrw. P. P. Fast, Curatus zu St. Stephan, mit zweien von Amts wegen verfaßten Gegenschriften seine rühmliche Schriftstellerlaufbahn eröffnete. Die "Beiträge zur Schilderung Wiens", eine in vielem Betracht merkwürdige Schrift, der zur Empfehlung nichts als ein den Gegenständen mehr angemessener Ton fehlte, veranlaßte über 10 Streitschriften, und ihr haben wir den "Katholischen Unterricht" des oberwähnten P. P. Fast in 10 Teilen, das Stück zu 7 Kreuzer, zu danken, durch welchen der eifrige Herr Verfasser dem christlichen Fragbüchelunterricht des 16. Jahrhunderts, der durch die neuen Normalbücher schon beinahe in Vergessenheit gesunken war, wieder auf die Beine geholfen hat.* )
 
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*) Der würdige Herr Probst Anton Wilola hat in seinem zweiten Schreiben "Über die Toleranz" diesen "Katholischen Unterricht" nach Verdienst kommentiert.
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Die Schrift "Über die Stubenmädchen in Wien" von Herrn Rautenstrauch war eine der glücklichsten Autorspekulationen für ihn und die Herren, welche sich an ihn anhingen. 25 Broschüren schlugen sich für und wider diesen Gegenstand und bewiesen deutlich, was für einen wichtigen Teil des Publikums die Stubenmädchen ausmachen müssen. Von dieser Zeit an gingen die Manufakturen der Tagesprodukte unermüdet fort, und in jedem Monate durfte man auf 50 bis 60 Broschüren sicher Rechnung machen. Jeder Vorfall, jede Tagesneuigkeit ward zur Broschüre, und die alles regierende Göttin Gelegenheit, die sonst Juvenale und Buttlers zu unsterblichen Werken des Geistes aufrief, amüsierte sich in Wien damit, zwei Bogen langen Broschüren das Dasein zu geben. Die Schriftsteller schienen den Geschmack des Publikums wohl getroffen zu haben, sie verlegten sich auf Persönlichkeiten, Familienvorfälle u. dgl., und Dinge, die sonst nur in vertrauten Kreisen und freundschaftlichen Unterredungen abgehandelt wurden, gingen itzt durch die Hände eines ganzen Publikums. Aber auch dieser Speisen ward man in die Länge satt, und als man minder gierig zuzugreifen anfing, so war es eine Freude zu sehen, wie mancherlei Schilde die Herren aushingen, wie einer des anderen Küche verlästerte, wie einer den anderen "Schmierer" schalt und wie jeder gegen den Schwall von Broschüren loszog, den er mit den seinigen vermehren half. Allein der Käufer wurden demungeachtet weniger, die Verleger behutsamer und ekler, und vermutlich würde die sichtbar zunehmende Lauigkeit des Publikums den Schreibern nach und nach das Handwerk gelegt haben, hätte nicht die Ankunft des Papstes dem ganzen Schriftstellerwesen eine neue Schnellkraft und eine andere Wendung gegeben.
 
Diese zweite Epoche eröffnete der inländischen Literatur eine tröstlichere, hellere Aussicht. Männer von bessern Köpfen standen auf, und selbst viele von denjenigen, deren Schriften bisher ebenso unbedeutend waren als die Gegenstände, welche sie behandelten, schienen nun zu beweisen, daß es ihnen vorher nur an Materie zum Schreiben gefehlet habe und daß ihre Schreibsucht ihnen nicht Zeit ließ, auf eine bessere Wahl der Gegenstände zu denken. Freilich sucht der Schriftsteller von Beruf nicht erst den Stoff, wenn er sich hinsetzt zu schreiben, sondern der Stoff sucht ihn und drängt ihn, wenn er den Mann findet, an das Pult; er nötigt ihn, sich der Ideen, die sich über den einmal gefaßten Gegenstand in ihm entwickeln, zu entledigen, das, was er gedacht, beobachtet, entdeckt hat, seinen Lesern mitzuteilen, und das ist's, was seinen Beruf zum Schreiben ausmacht. Es gibt zwar, wie bekannt, einen noch dringenderen Schriftstellerberuf als diesen, einen Beruf, den man im Magen fühlt, aber den kennt man leider aus seinen Früchten, und nie war er vielleicht kenntlicher als an den unzeitigen Gewächsen, die er in der ersten Periode der Preßfreiheit, auf dem österreichischen Boden hervorbrachte. - Mit des Herrn Landrats Eybel Abhandlung "Was ist der Papst?" begann nun die neue, bessere Periode der inländischen Schriftstellerei. Eine deutsche, selbst dem Volk verständliche Abhandlung über einen Gegenstand, der bisher entweder bloß lateinisch oder nur von protestantischen Schriftstellern deutsch, aber immer nur für Sachkundige allein behandelt worden war, würde auch ohne die freimütige Einschränkung der päpstlichen Rechte, die ihren Inhalt ausmachten, Aufmerksamkeit zu einer Zeit erregt haben, wo der Gedanke "Papst" in den Köpfen einer halben Welt, und vor allen in denen des Wiener Publikums, ein ausschließendes Recht zu walten hatte. Schon der Titel der Schrift war für das Volk, geistlichen und weltlichen, adelichen und bürgerlichen Standes, eine kühne, vermessene Frage, unerhört in den älteren Katechismen, in welchen man sich wohl jede andere Frage, nur niemals die: "Was ist der Papst?" erlaubt hatte. Noch weit unverzeihlicher schien der Inhalt, und fast allgemein war die Empörung derjenigen, welche in ihren Klöstern eine freilich ganz andere Lehre über diesen Gegenstand eingesogen hatten. Aber was diese Zeloten am meisten wider den Verfasser empörte, waren dessen "Sieben Kapitel von Klosterleuten", die mit seiner Abhandlung über den Papst zugleich erschienen und gegen ihr unmittelbares Interesse gerichtet waren. Da sie nun gegen diese wenig oder nichts vorbringen konnten, so war es natürlich, daß ihnen die Schrift über den Papst zum Ableiter ihrer Erbitterung dienen mußte. Sie donnerten von der Kanzel herab gegen den Verfasser, und P. Merz in Augsburg hielt in einer öffentlichen Kontroverspredigt Gericht über ihn. Nichts war bei dieser Gelegenheit lustiger anzusehen, als wie sich die Eiferer auf der Kanzel wanden und krümmten, um dem Verfasser eins anzuhängen, ohne sich gegen die Grundsätze des Staats und der Zensur, welche diese Schrift billigte, zu verstoßen. Aber noch eifriger und folglich noch gröber waren sie mit der Feder. Ein jeder, der dagegen schrieb, nannte seine Lehre echt und uralt und bedachte unglücklicherweise nicht, daß die Grundsätze des Mittelalters freilich, leider! uralt, aber die der ersten Kirche noch uralter und folglich auch echter seien. Kurz, über 70 Schriften zogen allein für und wider diesen Gegenstand zu Felde, und das Resultat aller Gegenschriften war, daß sie des Verfassers Abhandlung, statt sie zu widerlegen, bekannter, gesuchter und folglich gemeinnütziger machten. Dies bewies augenscheinlich der erstaunliche Absatz derselben und die Eilfertigkeit, mit welcher sie ins Lateinische und Französische übersetzt ward. Sogar der Titel dieser Abhandlung schien Epoche zu machen; eine Menge Schriften erschienen von nun an in Gestalt von Fragen, und indes der Verfasser selbst noch einige Gegenstände des Kirchenrechts auf diese Art behandelte, wimmelte es von fragenden Titeln. Man frug:
 
"Was ist der Verfasser der Abhandlung: >Was ist der Papst?<"
"Was ist der Kardinal?"
"Was soll der Pfarrer sein?"
"Was ist die Religion?"
"Was ist die Kirche?"
"Was ist der Kaiser?"
"Was sind die Pflichten gegen Gott?"
"Was ist der Peter?"
"Was ist der Teufel?"
"Was sind die Wienerschriften überhaupt?"
 
Und man würde vielleicht noch mehr gefragt haben, wenn das Antworten nicht so schwer wäre. Wenigstens machte ein Gegner dieser Herren Fragesteller die feine Bemerkung: daß ein Narr mehr fragen könne als zehn Weise beantworten.
 
Noch eine Schrift, über welche bei Gelegenheit der Ankunft des Papstes bis zum Ekel gestritten ward, war: "Die Vorstellung an seine päpstliche Heiligkeit Pius VI." von Herrn Rautenstrauch. Der Ehrw. P. P. Fast, der sich's nun einmal zum Geschäft gemacht zu haben scheint, auf der erzbischöflichen Warte die Aspekte der Aufklärung am Wiener Horizonte zu beobachten, konnte diesen Irrstern nicht unangehalten vorbeilassen. Er glaubte an demselben durch sein altes Sehrohr eine Menge Flecken wahrzunehmen, und ohne erst zu untersuchen, ob diese Flecken nicht etwa an den Gläsern seines eigenen Tubus befindlich seien, ereiferte er sich dagegen in einem Tone, der in den Zeiten, da man mit Fäusten schrieb, einem Weislinger Ehre gemacht haben würde. Herr Rautenstrauch, der keinem seiner Gegner gern das letzte Wort läßt, fing an, Episteln an ihn zu schreiben, deren keine unbeantwortet blieb; und hieraus entstand jener artige Briefwechsel, der, wenigstens von seiten des Ehrw. P. P. Fast einen herrlichen Beitrag zu deutschen Epistolis obscurorum virorum abgeben würde. Unstreitig bleibt Herrn Rautenstrauch bei diesem ganzen Handel die Ehre einer ungleich größeren Mäßigung und die noch größere, der Verfasser einer Schrift zu sein, wie seine Vorstellung ist.
 
Es erschienen in dieser zweiten Schriftstellerperiode, welche den Papst zum Gegenstand hatte, noch mehrere sehr gut geschriebene Abhandlungen, deren Auseinandersetzung mich zu weit führen würde. Genug, aus allen zusammengenommen ergibt sich der Schluß, daß sich von dem jungen Nachwuchs der Autoren - derjenigen versteht sich, die nicht Pfuscher sind -, wenn nicht Schreibbegierde allein sie leiten und Überlegung die aufbrausende Hitze mäßigen wird, noch viel Gutes hoffen läßt.
 
Mit dem "Institute der Predigerkritiker" begann für Wien eine neue Schriftstellerperiode, die sowohl wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes als ihrer unstreitigen Gemeinnützigkeit merkwürdig ist. Wie wichtig die Rolle eines Predigers und wie groß der Einfluß eines öffentlichen Redners auf das Volk von jeher gewesen sei, beweiset die durch alle Nationen und Alter immer gleich fortlaufende Erfahrung von den Sophisten Griechenlands an bis auf die herumziehenden Bußprediger unserer Zeiten. Unzählig sind die Beispiele, daß eine schwärmerische Rede feige Memmen zu Helden und gutwillige Schafe zu reißenden Wölfen machte. Nicht selten haben Prediger ihre Macht über das menschliche Herz bis auf einen unerklärbaren Punkt getrieben; und daher kam es, daß man das, was sie von der Kanzel herab wirkten, so oft Mirakel nannte. Noch mehr: Ein nur mittelmäßiger Redner läßt an unmittelbarem Einflüsse auf sein Volk selbst den besten Schriftsteller weit hinter sich zurück. Nie wird ein Raynal seinen Lesern das werden, was Ziska auf seiner Tonne den Hussiten ward. Der Grund hievon liegt in der Natur der Sache. Der Redner hat nicht nur alle Vorteile des Schriftstellers, sondern er hat noch weit mehr, um auf sein Volk zu wirken. Die Art, mit welcher beide ihre Gedanken und Empfindungen mitteilen, ist unendlich verschieden. Das Mittel zur Wirkung ist bei dem Schriftsteller nur der tote Buchstabe, bei dem Prediger das lebendige Wort: der Prediger ist gegenwärtig, um jedes seiner Worte durch Ausdruck und Gebärde zu unterstützen, und wirkt also auf zween Sinne zugleich, der Schriftsteller ist abwesend, bleibt ungesehen, und kann nur auf einen Sinn wirken. Der Redner wirkt auf Tausende zugleich und hat da den wichtigen Vorteil, daß der gerührte Zuhörer den ungerührten bewegt und das Beispiel des größeren Teiles den kleineren mit ansteckt. Den Schriftsteller liest jeder allein, und der Leser sieht keine Mitgerührten um sich, die seine Empfindung unterstützen oder heben könnten. Der Redner kann fortreißen, wo er will, und zurückhalten, wo es ihm beliebt, den Lauf des Schriftstellers kann jede Kleinigkeit hemmen, und seine Ruhepunkte werden mit einem Blick übersprungen. Das Publikum des Redners ist gleichartiger, es ist ihm mehr bekannt, um auf selbes zu wirken. Das Publikum des Schriftstellers ist die Welt, unendlich mannigfaltig an Denkart und Empfindungsvermögen, er kennt seine Leser nur nach dem allgemeinen Begriffe der Menschen und hat nur entfernte, unbestimmte Mittel, um auf sie wirken zu können. Aus dieser Vergleichung, die allerdings noch weiter geführt werden könnte, wird es einleuchtend klar, daß der Prediger von ungleich größerem Einfluß sein müsse als der Schriftsteller, daß dieser nur nach und nach Proselyten machen, jener aber augenblickliche Empörungen veranlassen und folglich gefährlicher werden könne und daher in einem Staate eine noch weit strengere Aufsicht verdiene als selbst der Schriftsteller.
 
Diese allgemeinen Betrachtungen, die, wie alles Allgemeine, ihre Ausnahme und Einschränkungen wohl haben mögen, machen die bisherige gänzliche Zensursfreiheit aller öffentlichen Predigten sehr auffallend, aber noch auffallender die Klagen derjenigen, die sich berechtigt glauben, gegen ein Institut zu murren, welches allein diesen Mangel einer öffentlichen Aufsicht einigermaßen ersetzen kann. Seit der Zeit, da die Pfarrer den Besitz der Kanzel mit den Mönchen zu teilen anfingen, ist eine solche Aufsicht um so nötiger, da man weiß, was für Aberglauben und Irrtümer diese Gattung Prediger nicht selten unter dem Volke verbreitet und wie oft sie den Predigtstuhl zum Pranger der Pfarrer, der Obrigkeiten und selbst ihrer Zunftgenossen gemacht haben. Ist also das "Institut der Predigerkritiker" von dieser Seite ein unentbehrlicher Zaum, so dient selbes zugleich von der andern Seite den Predigern zum Sporn, mehr Fleiß auf ihre Predigten zu verwenden, und den Orden selbst zum Antrieb, ihre Subjekte besser zu wählen und keinem eine Kanzel zu vertrauen, welcher unfähig ist, derselben Ehre zu machen. Diese strenge Auswahl ist um so nötiger, da man leider! aus Erfahrung weiß, was für Subjekte nicht selten die Kandidaten der meisten Mönchsorden waren. Wenigstens hat mich selbst ein würdiger Professor einst versichert und mit Vorweisung seiner Schullisten überzeugt, daß er seit vielen Jahren her von zwei- bis dreihundert seiner jährlichen Schüler um die Hälfte des Jahrs immer ein Drittel mit Attestaten der zweiten oder gar dritten Klasse ausgemustert und in die Kapuziner- und Franziskanerklöster abgesetzt habe.
 
So einleuchtend nun die Notwendigkeit irgendeiner Art von öffentlicher Aufsicht über die Prediger jedem unbefangenen Kopfe sein muß, so nichtig sind andererseits die Gründe, welche die Verteidiger einer unbeschränkten Kanzelfreiheit diesem Institute entgegenstellen. Alle ihre Gründe, in so mancherlei Formen sie dieselben auch einkleiden, laufen immer in den Punkt zusammen, daß eine öffentliche profane Kritik das Ansehen des Worts Gottes entkräfte und der Ehrerbietung, die man den Verkündern desselben schuldig ist, zuwider sei. Zween Einwürfe, die kaum einer Widerlegung wert sind. Erstens: Ist wohl das alles Gottes Wort, was ein Prediger spricht? Ich traue jedem Prediger zuviel Ehrerbietung gegen seinen göttlichen Lehrer zu, als daß ich je glauben wollte, daß einer kühn genug sei, dem allerweisesten Wesen seine oft so unlogischen Schlüsse, seine Läppereien, seine lieblosen Ausfälle und seinen Legendenkram als eigen Wort unterzuschieben. Sind zweitens selbst ihre Auslegungen des göttlichen Wortes immer logisch richtig und dem Menschenverstände gemäß? Man lese die "Wöchentlichen Wahrheiten" der Kritiker, und man wird fast in jedem Stücke Beiträge zur Verneinung dieser Frage finden. Man halte die Textverdrehungen eines Bruder Gerundio *)
 
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*) Franz. Isla, ein spanischer Jesuit, auf dem der Geist des Cervantes ruhte, stellte im Jahr 1758 in seinem Kanzel-Don-Quixotte, den er Bruder Gerundio nannte, den Predigern seiner Zeit ihr eigenes Ebenbild zum Spektakel dar. Dieses vortreffliche Buch, welches Bertuch unter dem Titel "Geschichte des berühmten Predigers Bruder Gerundio von Campazas", Leipzig 1773. 2 Bände gr. 8., ins Deutsche übersetzt hat, ist die angenehmste und lehrreichste Lektüre für Prediger aller Nationen und Zeiten.
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ja nicht für übertrieben. So ungereimt selbe sind, so gewöhnlich sind sie nicht nur bei spanischen, sondern auch bei deutschen Predigern. Man höre zum Beweis ein Beispiel aus einer Wiener Predigt, welches eine kaum fünf Jahr alte Tatsache ist. Es war eine Fastenpredigt, in welcher der Prediger seine Zuhörer zur Enthaltung von Fleischspeisen ermahnte und ihnen den Abscheu vor den Fastenspeisen benehmen wollte. Unter ändern Beweisen führte er das Beispiel des jungen Tobias an: wie derselbe mit dem Engel in die Ferne gegangen sei, ein Mittel für das verlorne Augenlicht seines Vaters zu suchen, und wie er, als ihm der Engel einen großen Fisch gezeigt, vor demselben aus Furcht zurückgebebt, von dem Engel aber ermuntert worden sei, ihn herzhaft anzugreifen. "Also", fuhr der Prediger, ohne zu lachen, fort, "also auch ihr, meine Zuhörer, fürchtet euch nicht vor dem Fisch, ergreifet ihn herzhaft, er wird euch nicht beißen, usw." Jede Textverdrehung ist kraftlos für den Verstand und leitet zu Trugschlüssen, die den Mann, der sie einsieht, empören, statt ihn zu überzeugen, jedes Legendeninärchen macht den Prediger in den Augen des vernünftigen Zuhörers entweder zum Heuchler, den er verachten, oder zum leichtgläubigen Kinde, das er bemitleiden muß. Und dies ist, womit Prediger selbst ihr Wort entkräften: die Kritik tut das Gegenteil, sie will, daß Gottes Wort in dem Munde der Prediger nicht kraftlos werden soll. Und wie kann endlich eine öffentliche Rüge der Kanzelgebrechen der Ehrerbietung zuwider sein, die man den Predigern schuldig ist? Jede Ehrerbietung, die nicht persönliches Verdienst zum Grunde hat, wird Satire für den, dem sie erwiesen wird; man ehret den Mann des Kleides wegen. Die Kritik will den Predigern nicht ihre Ehre nehmen, sie will ihnen Ehre geben: und gibt sie nicht dem Ehre, dem Ehre gebührt?
 
Genug zur Apologie eines Institutes, dessen bescheidener Tadel nur dann aufhören kann, wenn die Prediger aufhören werden, ihm Stoff zum Tadel zu geben. Das Institut selbst war eigentlich eine bessere Nachahmung eines ähnlichen Institutes in Prag, die "Geißel der Prediger" genannt, das aber, weil es seinem Endzwecke in der Ausführung minder entsprach, aufhörte. Die bloße Ankündigung dieses Instituts in Wien erregte schon Aufstand. Der verjährte Besitz einer bisherigen gänzlichen Unfehlbarkeit auf der Kanzel sollte nun dem Urteile weltlicher Richter ausgesetzt sein? P. Pochlin, Lehrer der Beredsamkeit in dem erzbischöflichen Alumnate, war der erste, der die bloße Ankündigung als eine Herausforderung ansah und dem Feind, den er noch nicht kannte, beherzt vor die Stirne trat. Mit einem Feind anbinden wollen, den man noch nicht kennt, heißt nach der Regel der Kriegskunst - Tollkühnheit, bei P. Pochlin war es, wie man aus seinem Fehdebrief, den er im "Wiener Diarium" seinen Gegnern zusandte, schließen konnte, Selbstgefühl seiner Stärke und Bewußtsein seiner Unfehlbarkeit. Er lud seine sämtlichen Gegner nach Vösendorf ein, um sich da mit ihnen auf der Kanzel zu messen, und das ungefähr in den Ausdrücken, deren sich einst der große Goliath gegen den kleinen David bediente. Die Gegner erschienen, die Predigt begann, und der Riese fiel noch vor dem ersten Stein aus der Schleuder seiner Kritiker. Er raffte sich auf und zog nun als Schriftsteller aus und fiel wieder, schwerer als zuvor. Er kam nun in Person eines Fleischhackers und tat zum drittenmal einen Fall, der nun deutlich bewies, daß es den Kritikern weit weniger Ehre gemacht habe, über so einen Gegner zu siegen, als es ihnen gemacht haben würde, wenn sie nach dem Fehdehandschuh eines Mannes, der so wenig Ritter war, gar nie gegriffen hätten.
 
So verdächtig nun P. Pochlin selbst durch diese Art zu streiten seine eigene Sache gemacht hatte, so fand er doch bald an dem mehrgedachten P. P. Fast einen würdigen Gehilfen. Dieser eifrige Mann, der den bisherigen Papierverderbern getreulich geholfen hatte, das weiße Papier zu verteuern und das gedruckte wohlfeiler zu machen, fand die Wachsamkeit der Zensur über die Predigerwahrheiten unzureichend und hielt es für Pflicht, über dieselben eine Art von Superrevisionsgericht zu halten. Er tat dies und tut es noch itzt in seiner "katholischen Prüfung" der Prediger-Wahrheiten, die bereits auf 9 Stück gediehen und in seiner bekannten Unnanier geschrieben ist.
 
Noch weit mehr ward dieses Institut von der Kanzel herab angegriffen. Es ward bald der allgemeine Gegenstand der öffentlichen Kanzelreden, und die meisten Prediger zeigten selbst bei dieser Gelegenheit deutlich, wie sehr es ihnen zur Gewohnheit geworden sei, die geheiligte Stätte zum Tummelplatz persönlicher Leidenschaften zu machen, und wie wenig die Heiligkeit des Ortes vor Entheiligung sichere. Kurz, sie bewiesen selbst, wie sehr sie einer öffentlichen Aufsicht vonnöten haben. Das Auffallendste bei dieser Sache war, daß Männer, die im Predigerarnte beinahe grau geworden, die ein Recht zu haben glauben, sich Jüngern Predigern zu Lehrern und Mustern aufwerfen zu dürfen, gerade die lautesten Beweise von jugendlicher Hitze und gereizter Leidenschaft gaben und bei dem ersten Anlasse des kleinsten Tadels so ganz vergaßen, daß Sanftmut und Bescheidenheit die wesentlichsten Eigenschaften eines Verkünders der Lehre Christi seien. Kurz, Männer, die von Amts wegen uns ermahnen, Unbilden mit Geduld zu leiden, konnten die Wahrheit nicht vertragen und zeigten uns von neuem die leidige, weite Kluft, welche die Worte von den Werken trennet.
 
Nun ein paar Worte von der Predigerkritik selbst! Der Endzweck dieses Institutes ist zweifach. Es soll ein Zaum und ein Sporn für die Prediger und ein Belehrungs- und Verwarnungsmittel für die Zuhörer sein. Der erste Endzweck fordert freimütigen, bescheidenen Tadel, ohne Ansehung der Person, wo was zu tadeln ist, und gerechtes unparteiisches Lob dessen, was Lob verdient. Der zweite Endzweck fordert Aufklärung über Dunkelheiten, Zurechtweisung irriger Meinungen, Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen, nützlichen und schädlichen, abergläubischen und erbaulichen Religionsgebräuchen, genaue Kenntnis der geistlichen und weltlichen Gewalt und der Grenzlinie zwischen beiden und endlich das Zutrauen der Leser, dazu nur aufrichtige Wahrheitsliebe, Mäßigung und Bescheidenheit ein gegründetes Recht geben können. Daß die Predigerkritiker viele dieser Forderungen erfüllen, ist unleugbar, aber auch ebenso unleugbar ist es, daß sie noch weit mehr leisten könnten, als sie wirklich leisten. Wenigstens weiß ich nicht, was oft ein ganzer Bogen voll Persönlichkeiten von sich und den Predigern zur Erreichung des doppelten Endzweckes beitragen soll. Wozu die ewigen Repliken auf jeden Ausfall eines Predigers? Das Publikum weiß ohnehin, daß Prediger Menschen sind, und das alte Sprichwort: "Wie man in den Wald schreit, so hallt's wider" - sosehr es in der Schriftstellerwelt Mode ist, soll wenigstens hier nicht statthaben. Der Schriftsteller, der von der Güte seiner Absichten überzeugt ist, hält sich bloß an die Sache, geht festen Schritts seinen Weg fort und sieht [sich] nicht um nach dem Gebelle, das sich von dieser oder jener Seite hören läßt. Nebst einer größeren Mäßigung wäre den Verfassern auch oft mehr Klugheit in Ausrottung der Vorurteile und Betreibung des Aufklärungsgeschäftes zu empfehlen. Sie scheinen hierin oft zu hastig und schneiden einen Knoten mitten entzwei, den sie nach und nach auflösen sollten. Das Werk der Aufklärung ist seiner Natur nach allmählichen Ganges: Das Verlernen von Dingen, die einmal fest in den Kopf gehämmert sind, fordert viel mehr Zeit als das Lernen; und Aberglaube und Vorurteil, die leisen Ganges geschlichen kamen und nach und nach unbemerkt Platz, griffen, lassen sich nicht auf einmal aus ihrer Feste jagen, sie müssen so fortgeführt werden, wie sie gekommen sind. - Diese Erinnerungen schienen mir nötig zu sein für ein Institut, das alles erfüllen muß, was man seiner Natur nach davon erwarten kann.
 
Die übrigen kleineren Schriften dieser dritten Periode waren meist ein leidiges Durcheinander. Gegenstände der Religion fingen wieder mit allerlei "Von" und "Über" abzuwechseln an, und viele Schriften schienen nur der einmal in Gang gebrachten Schreibegewohnheit der Hände ihr Dasein zu danken. Und da, wie natürlich, der Kopf den Händen nicht immer folgen kann, so paßten einige jede Gelegenheit ab und suchten ihre Schreibmaterialien auf der Gasse. Sobald der Pöbel was zu sprechen hatte, hatten sie was zu schreiben, und wie der Hunger gierig an einer harten Brotkruste nagt, so nagte ihre Schreibsucht heißhungrig an jedem Gassenspektakel. Die öffentliche Arbeit der geschornen Verbrecherinnen war ihnen ein willkommener Stoff. Sogar die Musen mußten sich von ihnen zu diesem Gegenstände brauchen lassen, aber die Lieder, welche sie zur Welt brachten, sahen leider ebenso aus wie die Musen, welche sie zu Gesängen begeistert hatten. Wobei sie noch die lächerliche Irrung begingen, die Kriminalverbrechen mit den Polizeibetretungen zu vermengen und alle geschornen Verbrecherinnen für Gassenphrynen auszugeben, vermutlich weil sie, von ihren Gegenständen begeistert, es ihnen nicht ansahen, daß so eine Vermutung die gröbste Satire auf ihr eigenes männliches Geschlecht sei.
 
Dein unbefangenen Beobachter, der nun den gegenwärtigen Zustand des Schriftstellerwesens mit dem vorigen zusammenhält und den Bezug desselben auf Religion, Staat und Wissenschaften beobachtet, stellen sich von selbst folgende Beobachtungen dar.
 
Widerspruch war von jeher die Quelle neuer Entdeckungen in dein Reiche der Wissenschaften. Geschwindere Aufklärung, tiefere und gründlichere Kenntnisse, festere Überzeugung bei denen, auf deren Seite die Wahrheit ist, waren von jeher die unmittelbaren Folgen desselben. Der menschliche Geist gleicht einem Feuersteine, aus dem nur auf den Gegenschlag des Feuerstahles Licht fährt. Auf die nämliche Art, wie die Wilden in Amerika Feuer machen, erhielten die Europäer Aufklärung und Licht, sie rieben Geist auf Geist, wie jene Holz auf Holz. Widerspruch erzeugt Anstrengung des Geistes, öffnet neue Aussichten, treibt den Geist in unbekannte Gegenden und verlängert und verstärkt die Kette des menschlichen Wissens. Die Geschichte aller Wissenschaften bestätiget diese Wahrheit. Wo man am meisten widersprach, rückte man am geschwindesten vorwärts, daher der in Vergleichung mit anderen Wissenschaften kaum glaubliche Vorsprung, den schon die Griechen in der Philosophie machten. Wie eine Sekte gegen die andere verlor, gewann die Philosophie. Ebenso im Fache der Religion. Die besten Schriften der Kirchenlehrer haben wir den Einwürfen ihrer Gegner zu danken; und daß in den finstern Zeiten des Christentums der Widerspruch seine wohltätige Wirkung verlor, das machten die römischen Zensuren und Interdikte, die den menschlichen Verstand in Fesseln legten und zur Untätigkeit verdammten.
 
Wenn man nun diese Beobachtungen auf den Widersprechungsgeist unserer Zeloten, die sich gegen jeden neuen Vorschritt der Aufklärung, gegen jede zum Wohle der Menschheit gemachte Verordnung so sehr ereifern, anwendet, so ergibt sich der Schluß, daß diese Herren Widersprecher selbst durch die Blößen, die sie in ihren Widersprüchen notwendig geben müssen, und durch die tiefere Erörterung gewisser Dinge, die sie selbst veranlassen, sich ihren eigenen Fall bereiten und an ihrer eigenen Grube arbeiten. Nichts ist lichtscheuer als Aberglaube und Vorurteil: sie bestanden von jeher nur durch den Schleier von Ehrerbietung, der sie umgab und der den Verstand des Laien immer in einer ehrfurchtsvollen Entfernung davon zurückhielt: ihre Verteidiger selbst halfen den Schleier wegziehen, und die Art, mit welcher sie für ihre Götzen sprachen, brachte dieselben vollends um das bißchen Ehrwürdigkeit, das ihnen der sonst tolerante Menschenverstand noch gelassen hatte. Indessen hat die Wahrheit Ursache, selbst ihren Gegnern zu danken, daß sie ihr durch ihre Widersprüche Gelegenheit verschafften, mit den Strahlen ihres hellen Antlitzes die in heiligen Nebel gehüllten Popanzen, Aberglaube und Vorurteil näher beleuchten zu dürfen.
 
Eine zweite Bemerkung, die sich jedem Beobachter des inländischen Schriftstellerwesens von selbst aufdringt, ist diese: daß die Schriftstellerschaft - zumal in Wien - von ihrer eigentümlichen Würde sehr viel verloren und zu einem beinahe verächtlichen Handwerk herabgesunken ist. So viel Officia sordida die Römer hatten und so eine Menge Schrifterlinge auch die Klagen eines Juvenal und Horaz bei ihnen vermuten lassen, so fiel es ihnen doch nie ein, diese Gattung Beschäftigung unter die Officia sordida zu zählen; bei uns aber ist das Barometer der öffentlichen Hochachtung für die Schriftstellerei bereits auf so einen Grad gefallen, daß dieselbe, wenn man eine Klassifikation aller Beschäftigungen nach Grundsätzen des römischen Rechts festsetzen wollte, sehr wahrscheinlicherweise unter die Officia sordida zu stehen kommen würde. Die Ursache dieses auffallenden Unterschiedes scheint teils in dem Zahlverhältnis der schlechten Schriften gegen die guten, teils in der Beschaffenheit der Personen zu liegen, welche sich mit Schreiben abgeben.
 
Unstreitig überwiegt bei jeder schreibenden Nation die Anzahl der schlechten und mittelmäßigen Schriften weit die Anzahl der guten; steigt aber die erstere so hoch, daß die letztere daneben zu verschwinden anfängt, so muß die Achtung für die kleinere Zahl in eben dem Grade abnehmen, wie das Übergewicht der größeren zunimmt. Der Grad des Verhältnisses zwischen beiden ist immer der Maßstab des allgemeinen Urteils, und das lesende Publikum gleicht einem Fischer, der, wenn er unter zehnmaligem Angelwerfen nicht einmal ein Fischchen fängt, diese Wasserstelle für fischlos hält und weitergeht. Daß dies der Fall der Wiener Schriften sei, bedarf leider! keines Beweises. Von dem ersten April des vorigen Jahres an bis Ende September des gegenwärtigen, folglich in einer Zeit von 18 Monaten, erschienen bloß allein in Wien l 170 Schriften, die Nachdrucke fremder Werke nicht mitgerechnet. Welch eine Zahl! Und doch würde das Publikum noch um ein paar hundert mehr zu sehen gekriegt haben, wenn es bloß auf den guten Willen der Autoren angekommen wäre. Angenommen nun, daß von diesen elfhundertzweiundsiebzig Schriften drei Vierteile - welches doch für jeden Kenner derselben das allerglimpflichste Postulatum sein muß - mittelmäßiges oder schlechtes Zeug waren, so entsteht daraus ein Verhältnis von 293 guten gegen 879 entbehrlichen oder gar schlechten Produkten. Wenn wir nun weiter annehmen wollen, daß eine Schrift in die andere gerechnet nicht mehr als 10 Kreuzer gekostet habe - welches man in Rücksicht so vieler periodischen Schriften und so vieler größerer Werke leicht annehmen kann, und wenn wir ferner voraussetzen, daß von jeder Schrift im Durchschnitt nur 200 gekauft worden sind - so geben uns die sämtlichen bisher erschienenen Schriften eine Summe von baren 39066 Gulden 40 Kreuzern. Wenn wir nun von dieser Summe drei Vierteile, welche auf Rechnung der entbehrlichen Schriften kommen, abziehen, so ergibt sich daraus an unnütz verschwendetem Gelde eine Summe von 29299 Gulden 30 Kreuzern. Man rechne hiezu noch den mit Lesung dieser Schriften erlittenen Zeitverlust und addiere damit das Lucrum cessans von Ideen und Kenntnissen, mit welchen man während dieser Zeit den Verstand aus bessern Schriften hätte bereichern können, und urteile dann, ob man dem Publikum die Verachtung und Geringschätzung so ganz und gar verargen könne, mit welcher dasselbe auf die heutigen Schriftstellerprodukte herabsieht. Indessen würde das Publikum sehr voreilig und ungerecht handeln, wenn es diese ganze unnütze Ausgabe bloß auf Rechnung der Autoren schreiben und glauben wollte, daß diese beträchtliche Summe von 29299 Gulden, nach Abzug der Druckkosten, ein reiner unverdienter Gewinn der Autoren gewesen sei. Nach dem hiesigen Verlegerfuß, der gerade für jene Autoren der schlechteste ist, die des Geldes am meisten bedürfen, fallen von jeder Schrift im Durchschnitt sicher zwei Dritteile reinen Gewinnstes in den Säckel derjenigen, die bei fremden Geistesgeburten Hebammendienste verrichten, das ist [die], die, um ein Geisteskind in die Welt zu setzen, ihre Hände, Maschinen und Windeln herleihen oder sich wohl gar für den bloßen Aufenthalt fremder Kinder in ihrem Gewölbe einen größern Zins, als je in Wien für eine Wohnung gezahlt wird, abreichen lassen. Nach diesem Zweidrittelfuß also kommt von den oben angeführten unnütz verwendeten 29299 Gulden ein sicherer Betrag von 19533 Gulden auf Rechnung der Verleger. Eine Summe, die jene große Bereitwilligkeit allerdings begreiflich macht, mit welcher dieselben noch immer fortfahren, jeder unreifen Geburt ohne Rücksicht auf derselben künftiges Schicksal an das Tageslicht zu helfen und sich der Schuld zu frühe entbundener Autoren teilhaftig zu machen.
 
Noch mehr als das bloße auffallende Verhältnis der schlechten Schriften gegen die guten schadet der Würde der Schriftstellerei die bekannte Beschaffenheit derjenigen, die sich mit Schreiben abgeben. Lesen und Schreiben können machte sonst die erforderlichen Eigenschaften des gemeinen Mannes aus, der bloß von Handarbeit lebt; itzt scheinen sie hinreichend, den Beruf des Schriftstellers zu machen, und so ist die Schriftstellerei zu einem Handwerk geworden, in dem jeder pfuscht, der gesunde und schreibfähige Hände hat. Pfuscherei veranlaßte von jeher den Verfall der Künste und Handwerke. Die wohlfeile, wiewohl schlechte Ware des Pfuschers verschlägt die besser gearbeitete Ware des kunstgerechten Meisters, und dieser, weil ihm niemand den größeren Aufwand von Zeit und Mühe auf seine Arbeit bezahlen will, muß entweder darben oder mit zum Pfuscher werden. Geschieht das, so nimmt mit der Güte der Arbeit ihr Wert ab, das Handwerk fällt und mit selbem die Achtung, die man sonst dafür hatte. Der Einwohner des Landes sieht, daß er bei aller Wohlfeile der Waren verliert, daß er nun alle Jahr neu anschaffen muß, was ihm sonst vier bis fünf Jahre gedauert hatte; er will wieder gute Ware, findet sie in seinem Lande nicht, kauft auswärts und trägt das Geld aus dem Lande. Das ist beiläufig das Schicksal unserer inländischen Schriftstellern. Es waren Zeiten, wo es bei uns wenig oder gar keine Schriftsteller gab, und der Lesebegierige mußte sich auswärts Nahrung seines Geistes suchen. Jetzt haben wir Schriftsteller die Menge, aber der Fall ist noch immer der nämliche und wird es so lange bleiben, solange zwei Dritteile der gesamten Schriftstellerzunft bloße Pfuscher sind. Bei den Handwerken hat man, um den bösen Folgen der Pfuscherei vorzubeugen, die Zunft- und Innungsrechte eingeführt, welche den kunstgerechten Meister in dem ausschließenden Besitz seiner Kunst handhabten und den Pfuschern das Handwerk legten; die Schriftstellerei war in diesem Punkte von Anbeginn vogelfrei und ohne Schutz, und die Kritiker, die sich freilich manchmal des bedrängten Autorwesens annahmen und sich den Eingriffen der Afterautoren entgegenstellten, waren von jeher eine viel zu schwache Schutzwehr, ein Volk von ihrem Gebiete hintan zu halten, welches nur zu gut wußte, daß die Waffen der Verteidiger desselben nur Gänsespulen sind und ihre Worte zwar den Ton, aber nicht das Vermögen einer gesetzgebenden Gewalt haben. Und dieser wehrlose Zustand der Schriftsteller ist es, der das Gebiet der Wissenschaften zum Tummelplatz jedes noch so unverschämten Federfechters macht und der so viele literarische Kleinhändler veranlaßte, ihre kurze Ware an allen Orten auszukramen. Der Name "Schriftsteller" hat durch die Leute, die ihn tragen, bereits so viel von seiner ursprünglichen Würde verloren, daß er anfängt, entehrend zu werden, und, wenn's noch länger so fortgeht, Gefahr läuft, in Osterreich ebensogut ein Schimpfname zu werden, als es der Name: Für bei den Römern ward. Bald wird ein Autor, dem sein guter Name lieb ist, Anstand nehmen, mit Leuten dieses Gelichters einerlei Kleid zu tragen und in einer Gesellschaft zu erscheinen, die so übel berüchtigt ist. Er wird sich zurückziehen und dem Pfuschergesindel ein Gebiet überlassen, von dem der gesittete Mann wie von einer Jedermannsschenke spricht. Das Publikum kann diesem Übel allein zuvorkommen. Es ist der einzige Herr, den das Autorvolk als seinen Richter anerkennt, der einzige, dessen Gesetzen sich Schriftsteller und Pfuscher unterwerfen muß. Es herrschet unumschränkt über alle Werke des Geistes und entscheidet über des Schriftstellers Leben und Tod. Wenn nun dieses Publikum, das im Schauspielhause seine Rechte so streng und unerbittlich ausübt, so leicht zum Mißfallen gereizt wird und so geschwind fertig ist, ein langweiliges Stück oder einen schlechten Schauspieler auf der Bühne auszuzischen, wenn dieses Publikum auf der größeren Bühne der Literatur ebensowenig seiner Rechte vergäße, die unberufenen Gaukler auf derselben nicht duldete, ihre Bocksprünge und Balgereien nicht belachte und das Possenspiel, das diese Schriftstellerbande wöchentlich zweimal im "Wiener Diarium" ankündigt, nicht teuer bezahlte, so würde die Pfuscherei von selbst aufhören, und die Schriftsteller würden ihr voriges Ansehen wiedererhalten.
 
Überhaupt trägt die hier eingerissene Mode, alles, was man gedacht, beobachtet oder entdeckt hat, flugs in Broschüren oder kleinen fliegenden Blättern in die Welt zu schicken, vieles zur Verkleinerung der Ehre unserer Literatur bei. Diese Methode ist allerdings sehr nützlich, um richtige Begriffe und Meinungen von gewissen Gegenständen beim Volke in Umlauf zu bringen, aber von allen Sachen ohne Unterschied so was Summarisches auf einen oder zween Bogen hinschreiben heißt die Wissenschaften sehr geringfügig behandeln. Was ist leichter, als ein paar Bogen mit hundertmal gesagtem Zeuge vollzuschreiben, das Ding gedruckt unter einem Titel, der oft das Beste am ganzen Werk ist, am nächstbesten Gewölbfenster eines Verlegers aushängen zu lassen und dann auszurufen: "Anch'io son pittore!"
 
Ich will damit, daß ich den Greuel der Autorpfuscherei gerügt habe, nicht sagen, daß ein junger, fähiger Kopf, der was gelernet hat, es aus eigenem Antrieb nie wagen soll, sein Glück auf dieser Bahn zu versuchen; es wäre lächerlich, wenn er, um sein Talent gemeinnützig zu machen, auf eine dringende Sendung warten wollte, um sich, im Fall es ihm mißlänge, darauf berufen zu können. Ein Pfuscher ist nur der, der es nicht beim ersten verunglückten Versuche bewenden läßt. Denn leider gibt es Versuche, die einen traurigen Beweis von ihres Urhebers gänzlichem Mangel aller Autorfähigkeit abgeben und denen man es auf den ersten Blick ansieht, daß aus den Begriffen, die in des Verfassers Kopf herumtreiben, nie was werden wird und nie was werden kann; licet nonum premantur in annum. Und solche Versuche, zumal wenn sie wiederholt werden, kann weder Sendung noch irgendein anderes Mittel vor dem verdienten Vorwurfe der Pfuscherei schützen.
 
Noch eine Bemerkung, die bei der Vergleichung unserer Literatur mit der auswärtigen mancherlei Aufschlüsse geben kann, ist diese, daß in Wien ein großer Teil der besten Köpfe gar nicht schreibt; indessen auswärts fast kein Stand, kein Amt, keine öffentliche Bedienstung ist, die nicht den Namen Schriftsteller zum Nebencharakter hat. Diese Ungleichheit läßt sich teils aus der verschiedenen Grundverfassung der Stände, teils aus der Verschiedenheit des hier und dort herrschenden Tones erklären. Bei uns nährt fast jedes Amt seinen Mann hinreichend, und er hat nicht nötig, die Schriftstellerei zur Nebenquelle seiner Einkünfte zu machen; auswärts ist die Autorschaft bei den meisten - zumal geistlichen Ämtern - zu einer Art von notwendiger Nebenindustrie geworden, die nicht wenigen helfen muß, ihr jährliches Einkommen mit ihren Bedürfnissen in das gehörige Verhältnis zu bringen. Im Ausland ist die Schriftstellerei der gewöhnlichste, sicherste Weg zu Beförderungen, bei uns war sie es wenigstens allgemein nicht. Auswärts ist Lesebegierde und Liebe zu den Wissenschaften ein herrschender Ton, bei uns sind beide nichts weniger als das und scheinen leider noch größtenteils als eine gelehrte Handwerkssache betrachtet zu werden. Auch scheint der Schriftstellername im Ausland ein viel ehrenvolleres Prädikat zu sein, als er es bei uns - einst wegen Mangel an Schriftstellern war und itzt - wegen Überfluß an selben ist. All dieses zusammengenommen mag hinreichend sein, jene - zwar für den Staat, nicht aber für die Literatur - tröstliche Bemerkung aufzuklären, daß Wien eine weit größere Anzahl vortrefflicher Köpfe als vortrefflicher Schriftsteller habe, daß mancher Schriftsteller hier oft weit mehr solche Leser finde, zu denen er in die Schule gehen könnte, als solche, die von ihm lernen, und daß man also sehr weit irregehen würde, wenn man den Grad der allgemeinen Aufklärung in Wien bloß nach den Schriften dieser Stadt bestimmen wollte, eine Bemerkung, welche - so wahr sie ist - meines Wissens noch jeder fremde Reisende, der von Wien schrieb, zu machen vergessen hat.
 
Ich will hier eben nicht untersuchen, ob es für jeden guten Kopf Pflicht sei, seine Talente soviel [wie] möglich gemeinnützig zu machen, ob bei einer so großen Ungleichheit der Geistesgaben, bei deren Austeilung die Natur meist ebenso willkürlich als bei Verteilung der Glücksgüter zu Werke zu gehen scheint, der Ärmere an Geist nicht ein Recht auf die Geistesfreigebigkeit des ändern habe, ob sich der Reichere, der mit Schätzen kargt, bei deren Verteilung er nichts verliert, nicht einer noch größeren Filzigkeit schuldig mache als der Geizhals, der nicht freigebig sein kann, ohne selbst weniger zu haben, und ob der mit seinem Wissen kargende Geist sich der Gelegenheit nicht selbst beraube, eine Wohltätigkeit der edelsten, höchsten Art auszuüben, eine Wohltätigkeit, die, je mehr man sie verschwendet, desto mehr vervielfältiget wird, die sich über Millionen Menschen zugleich verbreitet und von Jahrhundert zu Jahrhundert auf ganze Nationen und Menschenalter sich forterbt. Zugegeben, daß all dies nur für sehr wenige Fälle entscheidend sein könne, um die Schriftstellerei zur Pflicht zu machen, so ist doch gewiß, daß der Einwurf, es werde ohnehin genug geschrieben, im allgemeinen ebensowenig für das Gegenteil entscheide. Die vortrefflichsten Werke der größten Geister erschienen zu einer Zeit, da man viel schrieb, und der menschliche Geist würde, im ganzen genommen, wenigstens um zwei Dritteile ärmer sein, wenn die reichsten Geister aller Zeiten, während sie die minder Bemittelten unter sich kleine oder gar falsche Münze mit vollen Händen auswerfen sahen, mit ihren Gold- und Silberstücken hätten zurückhalten wollen.
 
Ich weiß, wie leicht dergleichen allgemein gesagte Wahrheiten mißverstanden werden können und was für Unheil sie anrichten würden, wenn selbe Leute auf sich anwenden wollten, denen sie nicht gesagt sind.
 
Ich ersuche daher alle und jede, die vielleicht eben itzt, trotz ihrer Geistesarmut, im Begriff sind, die vorrätige kleine Münze in allen Winkeln ihres Verstandeskastens zusammenzusuchen, um uns dieselbe in papierenen Beuteln an die Köpfe zu werfen, sich ja in keinen Aufwand zu setzen, sondern zu bedenken, daß alle Gold-, Silber- und Kupfermünzen, welche ihre Eigentümer vorlängst in Umlauf gebracht haben, bereits vielmal bezahlt sind und daß es unchristlich sei, eine fremde Ware, die schon mehr als hundertmal bezahlt worden, sich wieder von neuem bezahlen zu lassen. Und da der Geister, welche Gold machen können, ohnehin so wenige und der gelehrten Beutelmacher so viele sind, so gelanget in unseren goldarmen und beutelreichen Zeiten an die sämtlichen Herren, in deren Köpfen kein eigenes Gold geprägt, wohl aber das fremde in Rauch aufgelöst wird, unsere flehentliche Bitte, daß dieselben doch geruhen möchten, die ohnehin schreckliche Menge der goldleeren oder - wie der Landmann sich ausdrückt - lichten Beuteln zu beherzigen und dieselben nicht ferner mit neuen zu vermehren, sintemalen sonst diese ihrer Bestimmung nach so edlen Ideenbehältnisse noch immerfort das klägliche Schicksal würden erfahren müssen, von unbarmherzigen Händen in Tabakbeutel und Käs- und Gewürzfutterale verwandelt zu werden. Wovor sie der Himmel bewahren und mit seiner Allmacht gnädigst beschützen wolle!
 
Noch ein Umstand, der unsere Literatur in ihrem Fortgange zurückhält, ist die unter uns eingerissene Gewohnheit, fremde auswärtige Journale und Magazine mit inländischen eigenen Produkten und Beiträgen zu bereichern und den ohnehin großen Mangel unserer Literatur an derlei kleineren Arbeiten noch mehr zu vergrößern. Es war eine Zeit, wo die wenigen inländischen Gelehrten in den periodischen Blättern unseres Landes keine anständige Gesellschaft fanden, in der sie mit Ehren erscheinen konnten und sich also eine bessere in auswärtigen Blättern suchen mußten; nicht selten nötigte sie auch die größere Strenge der Zensur, Aufsätze, die hier bedenklich waren, auswärtigen Blättern zu überlassen, und einige unter ihnen suchten - was vormals kaum zu verdenken war - eine Ehre darin, in den gelehrten Blättern einer Literatur zu erscheinen, die der unsrigen, ihres großen Vorsprungs wegen, von jeher den Ton angab. Inwieweit diese Ursachen, die unsere Literatur um so manches schätzbare Eigentum brachten, noch itzt fortwähren, will ich nicht untersuchen, gewiß ist es indessen, daß wir sehr viel dabei verlieren, und solang diese Gewohnheit währet, nie ein gutes periodisches Blatt werden aufweisen können. - Das Verhältnis, in welches wir uns selbst durch unsere Beiträge mit den Auswärtigen setzen, ist auffallend ungleich und gegen alle Regeln eines gesellschaftlichen Vertrags: wir geben ihnen Beiträge, sie geben uns keine, wir schenken ihnen unsere Arbeiten, um selbe wieder von ihnen um unser Geld kaufen zu können. Was wunder also, daß wir ihnen damit willkommen sind? Würde dadurch unsere eigene Literatur nicht zurückgesetzt, so möchte dies alles noch hingehen, aber seinem Vaterlande den Rock ausziehen, um ihn anderen, die so viele Röcke haben, zu schenken, ist der Ahndung jedes Patrioten wert. Nie wird unsere Literatur vorwärtsrücken, nie wird sie sich ihren Schwestern bemerkenswert und notwendig machen, wenn nicht Gemeingeist unter ihren Schriftstellern herrscht. - Und doch, wie leicht könnte sie das? Ist nicht Wien der Mittelpunkt, um den sich Deutschlands kleinere und größere Planeten drehen? Ist es nicht - zumal itzt - das Augenmerk von ganz Europa? Haben Philosophie und Wissenschaften daselbst nicht einen viel weiteren Wirkungskreis? Ist Aufklärung nicht in vollem Gange, und stehen nicht Männer, wie manches weit hellere Land sie nicht hat, an ihrer Spitze? Sieht nicht alles auf uns, und haben nicht selbst auswärtige Schriftsteller bekennet: Wenn die deutsche Literatur, wie sie itzt ist, noch weiter rücken soll, so müsse sie von Wien aus weitergeführt werden? - Aber wenn unsere besseren Schriftsteller nur für das Ausland arbeiten, wenn sie die kleineren Bäche ihres Mutterlandes in ausländische Flüsse leiten, wenn Dichter ihre auf mütterlichem Boden erzeugten Blumen in auswärtige Beete verpflanzen, wenn selbst der Inländer die Manufakturen und Staatsvorfälle seines Landes erst aus Schläfers Staatsanzeigen und die Talente seiner Landesleute aus fremden Journalen kennenlernen muß, so läßt sich von der inländischen Literatur nie ein wahres Fortkommen hoffen, und wenn sich auch im Ausland hundert allzeit fertige Verleger fänden, die - wie itzt erst unlängst einer - alle unsere Zehnkreuzerbroschüren nachdruckten.
 
Überhaupt stehen alle übrigen Verfassungen unsers Landes auf einer ungleich höheren Stufe der Vollkommenheit als der Zustand unserer Literatur, und die in so manchem Betracht kolossalische Größe unseres Staates macht mit der literarischen Kleinheit desselben einen sehr auffallenden Kontrast. Der österreichische Staat, der sich sonst überall in männlicher Stärke darstellet, wird im Fache der Literatur noch stets für unmündig angesehen und muß sich noch immer gefallen lassen, von fremden, ungebetenen Geistesvormündern teuer bezahlte Leitung anzunehmen. Das Lesen ist einmal bei uns zum Bedürfnis geworden, fast jeder nur halb bemittelte Privatmann hält sich -war's auch nur, um ein paar Zimmerwände damit zu tapezieren - eine kleine Bibliothek; wer nur lesen kann, hat wenigstens ein halbes Dutzend Bücher, und dieser Handlungsartikel, der nun bei uns so wichtig zu werden anfängt, ist gerade der einzige, der uns den Ausländern am meisten zinsbar macht. Für die mehresten Handlungszweige haben wir inländische Manufakturen, die das Geld im Land erhalten und uns die Waren der Ausländer entbehrlich machen sollten, unsere Büchermanufakturen aber, welche den edlen Zweck haben, für die Geistesbedürfnisse des Landes zu sorgen, sind leider noch in sehr mißlichem Stande, und die beträchtlichen Summen, die wir jährlich den Niederdeutschen, den Engländern, Franzosen und Holländern bar bezahlen müssen, beweisen deutlich, wie unentbehrlich uns ihre gelehrten Waren sind und wie wenig noch unsere Manufakturen zureichen, um uns mit ihnen durch Tauschhandel in ein Gleichgewicht setzen zu können. Überhaupt scheint mir, habe man die Literatur selten oder gar nie von dieser Seite betrachtet, und doch ließe sich meines Erachtens arithmetisch beweisen, daß der Gegenstand wichtig genug ist, um in Betracht gezogen zu werden. Wenigstens lehrt uns die Erfahrung unseres eigenen Schadens, daß diejenigen Mächte, welche früher als wir anfingen, die Literatur und Wissenschaften ihres Landes zu begünstigen und zu heben, sich nicht verrechnet haben, wenn sie von ihrer Bemühung, nebst dem unsichtbaren Zuwachs von Ruhm und Ansehen, auch einen sehr sichtbaren und handgreiflichen Zuwachs von fremdem Gelde erwarteten; und lag auch diese Absicht nicht in dem Plan ihrer zum Besten der Wissenschaften gemachten Einrichtungen, so mußte sie doch der Erfolg davon überzeugen, daß die Summen, welche sie dazu verwendet hatten, auf sehr gute sowohl unsichtbare als sichtbare Zinsen ausgelegt waren. Und wenn man das allgemeine Verhältnis der Staaten untereinander als eine immerwährende Ebbe und Flut betrachtet, in welcher eine Masse die andere drängt, und wie eine Macht abläuft, die andere vordringt, wo jede Blöße, jeder Abgang, jedes noch so unbeträchtliche minus das allgemeine Gleichgewicht stört; wenn man annimmt, daß diese Massen des Staates unaufhörlich gegeneinander streiten und wirken, um sich ins Gleichgewicht zu setzen, so ist es gewiß, daß auch die Wissenschaften auf jene Waage gehören, auf welcher ein Staat sein Gewicht gegen den ändern abwägt, und daß sie sowohl von Seite der Ehre als des Gewinns einen nicht unbeträchtlichen Teil davon ausmachen.
 
Es würde mich zu weit führen, wenn ich diese auf wahre Verhältnisse gegründeten allgemeinen Beobachtungen fortsetzen, dem Faden aller daraus möglichen Folgerungen nachgehen und die Anwendung derselben auf jeden Zweig der Literatur und alle damit verbundene Gegenstände und Einrichtungen auseinandersetzen wollte. Jeder Geist, der Licht genug in sich hat, aus einer allgemeinen Wahrheit, wie die Sonne aus ihrem Mittelpunkte, den ganzen Umkreis der ihn umgebenden Gegenstände zu beleuchten, kann das von selbst. Genug, daß sich daraus der wahre Schluß ergibt, daß zum Besten der Wissenschaften nie zu viel getan werden kann und daß ein Staat, der bereits auf einer gewissen Stufe von Größe und Vollkommenheit steht, den Gipfel derselben nur durch den höchstmöglichen Grad von Aufklärung erreichen könne.
 
So schwer es auch immer sein mag, den allgemeinen Grad der Aufklärung eines großen Staates zu bestimmen, so wird der aufmerksame Beobachter, der dem Wechsel der menschlichen Meinungen und herrschenden Begriffe nachspürt und die gegenwärtige Beschaffenheit derselben mit der vorhergegangenen zusammenhält, gleichwohl Data finden, aus denen sich, wo nicht die Stufe der Aufklärung, doch sicher das Mehr oder Weniger derselben berechnen läßt. Gewiß ist es, daß die Toleranzedikte und kirchlichen Verordnungen unseres weisen Monarchen, die erweiterte Zensurfreiheit und selbst die dadurch veranlaßte Menge von kleineren Gelegenheitsschriften vieles zur allgemeinen Aufklärung beitragen mußten.
 
Denn die Toleranzedikte hatten gleich diese Wirkung, daß sie einen großen Teil unseres Volkes, wenngleich nicht über alle, doch wenigstens über viele Gegenstände die althergebrachten Vorurteile erkennen machten.
 
Die durch die Toleranzedikte veranlaßten Hirtenbriefe einiger - obschon weniger - wahrhaft eifriger Bischöfe waren ein näherer Schritt zur Verbannung dieser nämlichen Vorurteile, die jahrhundertelang den Geist der Gläubigen ebensosehr als die Religion selbst abgewürdiget hatten. Freilich hatten diese Briefe den Klosterglauben - das ist denjenigen Glauben, welchen der Mönchsgeist zur Beschäftigung seiner übervollen Muße und zur Handhabung seiner Privatvorteile auszuhecken und mit allen Auswüchsen einer gewaltsam verdrehten Phantasie zu durchwehen für gut befunden hat - wider sich und mußten ihn wider sich haben; allein, was auch dieser Klosterglaube dagegen vorbringen mag, so ist doch gewiß, daß jeder nur halb gesunde Menschenverstand, wenn sich ihm am Scheideweg auf einer Seite die Religion in dem vielfarbigen, mit Flitterwerk beladenen Gewände, womit sie der Mönch behänget, und diese Religion auf der ändern Seite, wie der vortreffliche "Salzburger Hirtenbrief" sie schildert, in ihrem einfachen, weißen, makellosen Kleide zur Wahl darstellte, nicht einen Augenblick Anstand nehmen würde, von dem ersten Bild sich wegzuwenden und das letzte mit Inbrunst zu umfangen. Überhaupt wäre nichts geschickter, um den Abstand gewisser mönchischer und, leider, auch nicht mönchischer Lehren jedem noch so trüben Blicke anschaulich zu machen, als wenn man die vortrefflichen Grundsätze dieses Hirtenbriefes jenen entgegensetzte, und es wäre zu wünschen, daß irgendein aufgeklärter Theolog die Mühe auf sich nähme, den auffallenden Abstand beider Lehren in einer ausführlichen Parallele zu zeigen.
 
Die kaiserlichen Verordnungen, welche die Bischöfe des Landes in ihre ursprünglichen Rechte wieder einsetzten, verschafften denselben alle nur mögliche Gelegenheit, sich um die allgemeine Aufklärung verdient zu machen. Sie haben nun Mittel, deren weiser Gebrauch sie an dem Geiste der Gläubigen ihres Kirchensprengels notwendig zu Wohltätern machen muß. Und wenngleich viele Bedenken tragen, Gebrauch von Rechten zu machen, die ihren Vorfahren einst so heilig und mit ihrem Amte so wesentlich verflochten schienen, so läßt sich doch von dem Beispiel der wenigen, die bereits anfingen, sich ihrer hergestellten Macht zum Wohl ihrer geistlichen Untertanen zu bedienen, noch immer einige Wirksamkeit auf die übrigen hoffen, welche lieber Sachwalter einer fremden Gewalt als Verwalter ihrer eigenen sind; und wird auch diese Erwartung vereitelt, so bleibt doch der tröstliche Gedanke zur Aussicht, daß jene Urkunden wiedererlangter Rechte, welehe die gegenwärtigen Besitzer in ihren Archiven mit der Überschrift […] versiegelt und unberührt liegenließen, ein zurückgelegter Schatz für ihre Nachfolger sind, welche nicht Anstand nehmen werden, mit diesen für das Wohl der Menschheit so wichtigen Geschenken zum Besten der Religion, des Staates und der allgemeinen Aufklärung zu wuchern.
 
Die Aufhebung einiger Ordensgemeinden, die Verminderung und Einschränkung der übrigen Mönche, die Verpflichtung derselben, ihre wissenschaftliche Ausbildung einer öffentlichen Aufsicht zu unterwerfen, sind ebenso viele günstige Vorboten der Aufklärung, deren wohltätigen Einfluß die kommenden Generationen mit Dankbarkeit segnen werden. Der Mönchsgeist war von jeher ein Meltau für die Blüte der Wissenschaften, und der ungünstige Einfluß desselben benahm fast allen Zweigen der Gelehrsamkeit Saft, Fruchtbarkeit und Gedeihen. Unmöglich konnten auf einem so eng umzäunten Boden die Sprößlinge der Wissenschaften zu Bäumen heranwachsen und ihre Äste in die Lüfte verbreiten, und wem ist nicht aus der Geschichte bekannt, zu was für verwachsenen, dorndichten und an der Erde hinkriechenden Gesträuchen Philosophie, Theologie und Kirchenrecht auf mönchischem Grund und Boden geworden sind? Es ist nicht nötig, die Ursache dieses allgemeinen Mißwachses in der bestimmten, kaum zu vermutenden Absicht zu suchen, vermöge welcher die Mönche darum alle Keime der Aufklärung sollen erstickt haben, um die allgemeine Lichtmasse der Staaten in einer zu ihrem Vorteil verhältnismäßigen Dämmerung zu erhalten - eine Beschuldigung, die ihnen öfter gemacht als erwiesen worden ist. - Genug, daß sich die Unmöglichkeit des Gedeihens der Wissenschaften aus der Natur der Klosterverfassungen ergibt. Wie kann ein Mönch, dem gleich bei seinem Eintritt in den Orden das Selbstdenken zur Sünde und die Verleugnung seines besseren Wissens zur Pflicht gemacht wird, der in dem größten Geisteszwang erzogen und von strengen Asketen - seinen einzigen ersten Wegweisern - gelehrt wird, durch beständiges Abstumpfen seines Verstandes und gänzliche Verachtung allen irdischen Wissens seine höchste Vollkommenheit zu erreichen, der in einer Lage lebt, die sich mit seinem Denk- und Empfindungsvermögen so wenig verträgt, der, wenn sein Geist was immer für eine Wahrheit verfolgt, alle Augenblicke Gefahr läuft, mit dem nächsten Schluß, den er daraus zieht, gegen ein Gelübde, eine Regel oder eine Ordensmeinung anzustoßen, der endlich, wenn er es auch wagt, sich aufzuklären, von seinen Mitbrüdern gehasset, verfolgt und als ein Geistes-Apostat angesehen wird, wie kann so ein Mann Mut und Tätigkeit genug behalten, das ganze weite Gebiet des menschlichen Wissens zu umfassen und seinen Geist unaufgehalten über alle Zweige desselben zu verbreiten? All dies zusammengenommen ist meines Erachtens hinreichend, sich die Unbrauchbarkeit der Mönche zu vielen Zweigen der Gelehrsamkeit zu erklären und den Grund anzugeben, warum die Sprossen der meisten Wissenschaften in ihren Händen entweder welken oder verkrümmt und verbogen werden mußten, ohne daß man nötig hat, zu einer Beschuldigung von vorsätzlicher Absicht seine Zuflucht zu nehmen, die vielleicht ihrem Herzen zuviel Schande und ihrem Kopfe zuviel Ehre machen würde. Genug, daß weder die eine noch andere Ursache in Zukunft mehr statthaben wird und daß die über das Mönchswesen ergangenen Verordnungen bereits ihre wohltätigen Wirkungen äußern und manchen fähigen Kopf, dem sonst vor allem irdischen Wissen graute, veranlassen, sich nun auch mit der in Klöstern sonst so sehr verabscheuten sapientia terrena und prudentia carnis abzugeben, um sich auch durch solche Kenntnisse in Rücksicht seiner künftigen Ungewissen Bestimmung sicherzustellen.
 
Die erweiterte Zensurfreiheit und das dadurch dem Widerspruche und den Meinungen der Schriftsteller eröffnete Feld versprach der allgemeinen Aufklärung eine nicht minder gesegnete Ernte, und vielleicht ist diese zum Besten des menschlichen Verstandes gemachte Verordnung die erste, die, so neu sie noch ist, schon wirkliche Früchte aufzuweisen hat. Denn außer den sichtbaren, schon oben bemerkten heilsamen Folgen, welche die Kämpfe so vieler eifriger Gegner zum Besten der Wahrheit mit sich brachten, gibt es noch manche tröstliche Beobachtung, die sich über den Fortgang der allgemeinen Aufklärung machen läßt. Allerdings geht es mit der Zurechtweisung des menschlichen Geistes sehr langsam, und eine durchaus aufgeklärtere Denkungsart läßt sich höchstens erst von der zweiten Generation, wenn unsere itzigen Kinder Väter sein werden, erwarten. Auch ist es in Bestimmung dieser Sache viel leichter, die zum Fortgang der Aufklärung gegebenen Ursachen und Anlässe herzurechnen, als die Wirkung derselben zu bestimmen. Die entscheidendsten Data, um wieviel heller das Volk über gewisse Gegenstände denke, ließen sich unstreitig aus den Verkaufslisten der Rosenkranzkrämer, Bilderilluminierer und Skapulierhändler, aus den Rechnungen der Wirte an größeren Wallfahrtsorten, aus den neuesten Bruderschaftslisten und dem täglichen Absatz der wächsernen Opfer und der sogenannten Kerzelweiber herholen. Indessen gibt es für den aufmerksamen Beobachter noch andere Data, aus welchen er den höheren Grad der Aufklärung so ziemlich richtig berechnen kann. Es gibt unter dem Volke bei besonderen Anlässen und Erscheinungen gewisse Äußerungen von dem - was ich aura popularis nennen würde, wenn es die römischen Sprachgesetzgeber nicht in einem andern Verstande gebraucht hätten - in denen immer der Grad des allgemeinen Vorurteiles für gewisse Gegenstände sichtbar wird. Man erinnere sich des Aufsehens und der fast allgemeinen Empörung, welche die Schrift "Über die Begräbnisse" in bürgerlichen und adeligen Gesellschaften, in Schenken und Kaffeehäusern erregte, und halte den unbefremdeten Blick und die Gleichgültigkeit dagegen, mit welcher das Volk itzt ungleich stärkere Dosen von Wahrheit als bewährte Hausmittel in sich schlürft, und man wird finden, daß das Volk durch die kleineren Schriften dieser Art zu einer Bekanntschaft mit gewissen Gegenständen gelanget ist, die durch eine Reihe von Jahren kaum zu erwarten war. Das Lesen so vieler Schriften, das vielfältige Räsonieren darüber, mußte dasselbe nach und nach mit Ideen vertraut machen, die es sonst gar nicht oder nur im Vorbeigehen zu denken gewohnt war. Und hätten die Schriftsteller nicht selbst so oft ihr Ziel aus dem Gesichte verloren, hätten sie ihre Begriffe nicht selbst verwirrt und einer des anderen Arbeit vernichtet, so würde die Aufklärung ihr Gebiet noch weiter ausgedehnt und ihre Macht selbst bis auf Handlungen erstreckt haben. Das Volk würde eingesehen haben, daß man ihm wohl will, daß man ihm nur die Schlacken, nicht das Gold nehmen und seine Begriffe läutern, nicht umstürzen wolle, daß man ihm nichts nehme, ohne dafür etwas Besseres zu geben, und daß der Zweck einer wahren Aufklärung nur darin bestehe, das eigne Wohl des Bürgers mit seinen Pflichten gegen Gott und den Staat in das engste und genaueste Verhältnis zu bringen.
 
Möchten doch alle, die sich berufen glauben, an der allgemeinen Aufklärung zu arbeiten, dies beherzigen, möchten doch die hartnäckigen Zeloten und die zu hitzigen Neuerer den Mittelweg nicht verkennen, auf welchem die Wahrheit einhergeht, möchten sie doch ihre Geisteskräfte nicht an unnützem Privatgezänke versplittern, möchten doch die Schriftsteller unseres Landes ihre Mitbürger die Vorteile kennen und benutzen lehren, welche ihnen die weisen Verordnungen ihres Monarchen bereiten, möchten doch alle, denen die Natur ein höheres Erkenntnisvermögen gab, mit vereinigten Kräften an dem Werke einer wahren Aufklärung arbeiten und bedenken, was für ein großer, seelenerhebender Gedanke das sei, der Wohltäter eines Volkes und ganzer Generationen von Menschenaltern zu werden!
 

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